Wenn der erste Satz, der auf einer CD ertönt mit den Worten „Zwei Möhren, das geht nicht“ beginnt, dann muss das ganz schön etwas bedeuten – Tiefsinn und so. Anders kann man sich das musikalische Unwort „Möhre“, das so gut zu Indie-Musik passt, wie Erfolg zum HSV, an so prominenter Stelle auch nicht erklären. Weiter geht es mit „… die gibt es nur im Pfund oder als Kilo“. Das verstehe ich, unsere Verschwendungswut wird angesprochen. „Die Menschen so friedlich, die meisten sind zu zweit oder allein“ – Isolation und Pluralismus, wichtiges Thema unserer Generation, mhmm. Jetzt fehlt noch das Thema Tierschutz im Gutmenschen-Bingo… „Sie fressen die Tiere, die Tiere fressen Zeug aus einem Silo“, ah da ist es ja, Bingo!
Mucke Mucke Mucke!
Man fühlt sich fast schon bestätigt darin, dass viele deutsche Bands einfach auf Englisch singen… und gut daran tun. Ist einfacher, keiner hört genau hin, muss man sich schon nicht um Tiefsinn und Wortklänge kümmern. Jetzt ist es aber so, dass Heisskalt hier einfach ein bisschen anders sind. Denn der eben beschriebene Anfang von „Bürgerliche Herkunft“ auf der neuen Platte „Idylle“ kümmert sich scheinbar nicht wirklich um Wortklänge, wohl aber um Tiefsinn. Als wüsste er, was man ihm gleich vorwerfen will, singt Mathias Bloech mit seiner krächzend markanten Stimme im Refrain „Ich wäre so gerne frei in meinem Denken“. Frei von den viel zu hohen Erwartungen, die man an deutsche Bands im Allgemeinen und deren Texte im Speziellen stellt. Irgendwie unbekümmerter.
Anspieltipp
So wie beim großartigen „Tapas und Merlot“, wo mit dem Satz „ich stehe nackt vor einem Arzt und mache Aaahh“ wohl so geil wie nie in den „Aaahhhh“ und „Ooohhh“-Part übergeleitet wird. Und ehe man sich versieht, hört man zum dritten Mal die ganze Platte durch, um noch weitere Doppeldeutigkeiten und Wortwitze rauszuhören.
Recording
Gleiches gilt für die instrumentalen Arrangements. Von der ersten Platte „Vom Stehen und Fallen“ von 2014 an, haben Heisskalt hier Dinge richtiger gemacht als andere. Hier wird nicht einfach ein Fundament für den Gesang mitgegeben. Nicht selten stehen Sound und Klang deutlich im Vordergrund der Songs. Immer wieder verlieren sich die Songs in sphärischen Flächen, übersteuerten Soli und ausladenden Outros. Auch „Idylle“ wartet wieder mit starken Sounds auf, die von epischer Größe („Du denkst ich lächle dich an…“) bis zu ruhiger Melancholie („Herbstlied“) reichen. Und immer wieder stimmen Text und Ton überraschend gut zusammen. „Fest“ beginnt mit einem stolpernden Basslauf und schlichten Drums, nur um von einem disharmonischen Gitarrengezupfe unterbrochen zu werden. Plötzlich hat man das Gefühl von Leere und Unsicherheit. Und genau dann kommt der Text wieder zum Tragen: „Halt mich fest“. Mehr nicht, aber genau richtig.
Fazit
Tiefsinn und so, aber durch die gesamte Band – Gesang, Gitarre, Schlagzeug und Bass. Wer hätte gedacht, dass das Wort „Möhre“ eigentlich ganz gut zu Indie-Musik passt. Wenn jetzt der HSV noch guten Fußball spielen würde…